Highlights des Monats
Auf dieser Seite präsentieren wir Ihnen jeden Monat ein neues Objekt aus der NÖ Landesbibliothek.
Engelbert Dollfuß, geboren am 4. Oktober 1892 in Texing, einer kleinen Gemeinde östlich von Scheibbs, als uneheliches Bauernkind. Gymnasiast im katholischen Knabenseminar in Hollabrunn, erst Priesterseminarist dann Jusstudent in Wien – Mitglied der CV-Verbindung „Franco-Bavaria“ mit dem Wahlspruch „Treu dem Volk, treu dem Glauben“ – schließlich Jurist in Wien. Im Ersten Weltkrieg Offizier an der italienischen Front, 1921 Sekretär des Bauernbundes, 1922 Sekretär und 1927 Direktor der NÖ Landwirtschaftskammer, 1930 Präsident der österreichischen Bundesbahnen, 1931 Landwirtschaftsminister, seit 20. Mai 1932 Bundeskanzler, am 25. Juli 1933 von Nationalsozialisten ermordet. Seither als Kultfigur gleichermaßen verehrt und gehasst. Für die einen ist er das erste österreichische Opfer Hitlers, ein mutiger Kämpfer für die Unabhängigkeit der Alpenrepublik und Märtyrer, für die anderen der „Totengräber der Demokratie“ und Faschist.[1] Kaum ein Politiker in Österreich polarisiert fast 90 Jahre nach seinem Tod im wissenschaftlichen und politischen Diskurs nach wie vor so stark wie Engelbert Dollfuß.
Die Postkartensammlung der NÖ Landesbibliothek umfasst neben zahlreichen Karten historischer Gebäude und Ortsansichten auch sechs Gedenkkarten im Postkartenformat zu niederösterreichischen Denkmälern für den ermordeten Bundeskanzler. Von den sechs Ansichtskarten stellen vier das Denkmal zu Ehren von Engelbert Dollfuß ins Zentrum:
- PK 611/1 38: In die Außenwand der Pfarrkirche in Kirchberg am Wagram eingelassen sieht man einen Halbkreis mit dem Schriftzug „Dr. Dollfuß“ und seinem Sterbejahr. Die Karte zeigt die Einweihung am 4. November 1934.
- Sign. 23.827: Vor der Pfarrkirche in Preßbaum wurde am 7. April 1935 ein unregelmäßiger Felsen mit zwei Plaketten – dem Reliefprofil von Dollfuß mit dem darunter befindlichen Schriftzug „Dollfuss“ sowie links einer kleineren unleserlichen Inschriftentafel – aufgestellt.
- PK 344/1-3: In Grabensee, einem Ortsteil der Gemeinde Asperhofen im Tullnerfeld, stiftete eine Bürgerinitiative 1934 rechts neben der Kapelle zum Hl. Bartholomäus ein aus unbearbeitetem Bruchstein aufgeschichtetes Mahnmal mit einer schief eingearbeiteten weißen Tafel und dem Schriftzug „Dr. Dollfuß“.
- PK 1.100/96: Auf einer Anhöhe bei Raabs/Thaya gab die Vaterländische Front 1934 ein Marterl aus Bruchstein mit Jesus am Kreuz im oberen Teil und einer darunter befindlichen unleserlichen Inschriftentafel zu Ehren von Engelbert Dollfuß in Auftrag.
Auf den anderen beiden Postkarten sieht man zwar ebenfalls Gedenkstätten für den ermordeten Kanzler, allerdings stellen sie dort nicht das Alleinstellungsmerkmal dar:
- PK 1.088/24: Am Kriegerdenkmal in Pulkau für die gefallenen Soldaten des Ersten Weltkrieges wurde 1935 eine zusätzliche Tafel zur Erinnerung mit der Inschrift: „Dem heldenhaften Erneuerer Österreichs Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuß in Dankbarkeit gewidmet die Gemeinde Pulkau 1935“ angebracht.
- PK 1.375/2: Auf der letzten Postkarte ist eine breite Straßenansicht umsäumt von Bauernhäusern in Stockern, Gemeinde Meiseldorf (Bezirk Horn) zu sehen. Am Ende der Straße blitzt hinter Bäumen der 1949 abgetragene barocke Turmhelm der zum Zeitpunkt der Aufnahme 1934 bereits nicht mehr in Verwendung stehenden alten Pfarrkirche von Stockern hervor. Im Zentrum der Straßenkreuzung findet sich auf einem flachen Sockel ein Granitblock mit einer eisernen Schale und einer nicht entzifferbaren Inschriftentafel, wobei mittig der Name „Dollfuss“ erkennbar ist.
Alle Postkarten entstanden zeitnah entweder zur Einweihung der Erinnerungsstätten oder kurz danach zwischen 1934 und 1935. Die darauf befindlichen Denkmäler wurden bis auf das Mahnmal in Grabensee allesamt nach dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich am 12. März 1938 zerstört bzw. entfernt. Heute ist bei keinem dieser Orte mehr ein Hinweis auf Dollfuß erkennbar. In Grabensee wandelte man nach der Entfernung der Inschriftentafel den Erinnerungsstein in ein Kriegerdenkmal um.
Die Verehrung des sogenannten „Märtyrerkanzlers“ setzte unmittelbar nach seiner Ermordung ein und bot den Anlass für die Errichtung unzähliger Dollfuß-Denkmäler in profanen und sakralen Bereichen. Bereits nach dem ersten Attentatsversuch am 3. Oktober 1933 – ebenfalls durch einen Nationalsozialisten – und den darauffolgenden medialen Berichten gab es eine verstärkte Heldenverehrung von Dollfuß. Sein Tod beim NS-Putschversuch am 25. Juli 1934 führte in Folge zum übersteigerten Topos des toten bzw. ewigen Führers.[2] Auf diesem Weg wurde eine Ideologie der nationalen Einheit des österreichischen Volkes konstruiert und Dollfuß als „der erste Verkünder dieses patriotischen Gedankens“ zelebriert.[3] Überall wurde das Epos seines heldenhaften Widerstandes gegenüber dem Nationalsozialismus hervorgehoben, zu einem Gutteil getragen vom medial verbreiteten Foto des auf einer Bank im Bundeskanzleramt liegenden toten Kanzlers mit nacktem Oberkörper, wobei eine Art Verwundbarkeit und Schutzlosigkeit ausstrahlt. Der verbreitete Totenkult für den Führer und Begründer des „neuen Österreich“ war ein wesentlicher Bestandteil der Legitimation des autoritären Staates und ist durchaus vergleichbar mit den übrigen europäischen Diktaturen der 1930er-Jahre. In Österreich verband sich dieser Mythos mit dem christlichen Märtyrergedanken. Es sollte propagandistisch die Eigenständigkeit Österreichs gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschen Reich untermauern, ohne Österreichs „deutsche Sendung“ aufzugeben – also die sprichwörtliche Quadratur des Kreises ermöglichen. In diesem Sinne entstanden zwischen 1934 und 1938 keine Denkmäler für den lebenden Führer und Nachfolger, Kurt von Schuschnigg (1897-1977), sondern für den toten Führer Engelbert Dollfuß.[4] Die enge Beziehung zwischen politischem Katholizismus und dem Ständestaat, deren deutlichster Ausdruck das Konkordat von 1933 ist, ist in der Art und dem Aufstellungsort der Dollfuß-Denkmäler zumeist vor Kirchen bzw. mit religiösen Symbolen versehen ablesbar.
Als „Dollfuß´ lebendiges Denkmal“ wurde die im Mai 1933 von ihm begründete und in Folge so definierte Einheitspartei, Vaterländische Front (VF), von der Bundesregierung mit der Koordinierung und Katalysierung der Denkmalpolitik beauftragt.[5] Bereits einen knappen Monat nach Dollfuß´ Ermordung erließ die Bundesregierung am 9. August 1934 an alle Landesleitungen der VF die Weisung, „dafür Sorge zu tragen, daß [sic] in allen Orten des Bundesgebietes […] ehestens eine Straße oder ein Platz nach dem verewigten Bundeskanzler und Führer Dr. Dollfuß benannt wird“.[6] Im katholisch-christlichsozial geprägten Niederösterreich, der Heimat des Kanzlers, kam man dieser Aufforderung besonders aktiv nach, um die Erinnerung an „ihren Heldenkanzler“ hochzuhalten.[7] Vor allem in den ländlichen Gebieten gab es eine Vielzahl an Eigeninitiativen der einzelnen Gemeinden auf Straßenumbenennungen bzw. Errichtung von Gedenkstätten. Diese flächendeckende Denkmalpolitik ergab nach einer 1936 seitens der VF gezogenen Bilanz insgesamt 3.399 bereits bestehende und 478 im Bau befindliche Dollfuß-Gedenkzeichen in ganz Österreich. Wobei man den Begriff „Gedenkzeichen“ sehr weit denken muss. Die zumeist im Rahmen von politischen Feiern des autoritären „Ständestaates“ eingeweihten Denkmäler reichten von Orts- und Straßenbezeichnungen, einfachen Inschriftentafeln, Büsten, Reliefs, Brunnen sowie einer breiten Palette religiöser Erinnerungskultur in Form von Kreuzen, Kapellen und Marterln bis zu neu errichteten Dollfuß-Gedächtniskirchen. Darüber hinaus gab es sehr ungewöhnliche Gedenkmöglichkeiten, wie Dollfuß-Altäre, Dollfuß-Glocken, Kirchenfenster mit dem Abbild des verewigten Kanzlers, Dollfuß-Kerzen, Dollfuß-Orgeln, ein Dollfuß-Messkleid aus Oberösterreich, Dollfuß-Aussichtswarten, und gipfelte z.B. in Tirol in Umbenennung von Bergspitzen und Brücken, einer Dollfuß-Quelle, einem Dollfuß-Spielplatz und sogar einem Dollfuß-Schießstand. Außerdem zählte man in Österreich fünf sogenannte Dollfuß-Siedlungen. So entstand u.a. in St. Pölten 1933 bis 1935 im Stadtteil Wagram der heute als Hubert-Schnofl-Siedlung bekannte Stadtteil zu Ehren des Kanzlers – mit mehr als 200 Häusern die größte Stadtrandsiedlung außerhalb Wiens. In St. Pölten fand auch eine der größten Einweihungsfeiern für ein Dollfuß-Denkmal statt. Am 20. Oktober 1935 kam die gesamte Regierungsspitze, um der Enthüllung des 1938 wieder niedergerissenen von Rudolf Wondracek (1886-1942) gestalteten Dollfuß-Obelisken am Domplatz gemeinsam mit 20.000 Menschen beizuwohnen.[8]
Nach 1945 zeichnete sich eine grundlegende Einigkeit im Gedenken an die Zeit zwischen 1938 und 1945 ab. So waren doch Verfolgte und Verfolger aus der Zeit des autoritären Ständestaates gleichermaßen Opfer des Nationalsozialismus. In Folge haben einige Beispiele des Dollfußkultes die Zeit der Denkmalstürze überdauert bzw. wurden nach 1945 sogar wiederbelebt.[9] Somit stellen die im Bestand der topographischen Sammlung der NÖ Landesbibliothek befindlichen „Dollfuß-Postkarten“ einen wertvollen zeitgeschichtlichen Hintergrund für eine zukünftige Aufarbeitung der noch immer nicht abgeschlossenen gesellschaftspolitischen Begegnung mit Engelbert Dollfuß in den niederösterreichischen Gemeinden dar.
Autor: Andreas Liška-Birk
Literatur:
Kurt Schuschnigg, Dreimal Österreich, Wien 1937.
Freiwillige Feuerwehr Stockern (Hrsg.), Stockern, Chronik unseres Ortes, Horn 1990.
Eva Dollfuß, Mein Vater. Hitlers erstes Opfer, Wien 1994.
Friedrich Grassegger, Dr. Engelbert Dollfuß: „Heldenkanzler und Führer der Heimat“. Dollfuß-Gedenken und –Denkmäler in Niederösterreich, In: Heinz Arnberger, Claudia Kuretsidis-Haider (Hrsg.), Gedenken und Mahnen in Niederösterreich. Erinnerungszeichen zu Widerstand, Verfolgung, Exil und Befreiung, Wien 2011.
Lucile Dreidemy, Der Dollfuß-Mythos. Eine Biographie des Posthumen, Wien 2014.
[1] Friedrich Grassegger, Dr. Engelbert Dollfuß: „Heldenkanzler und Führer der Heimat“, Dollfuß-Gedenken und –Denkmäler in Niederösterreich, In: Heinz Arnberger, Claudia Kuretsidis-Haider (Hrsg.), Gedenken und Mahnen in Niederösterreich. Erinnerungszeichen zu Widerstand, Verfolgung, Exil und Befreiung, Wien 2011, S. 566-577.
[2] Lucille Dreidemy, Der Dollfußmythos, eine Biographie des Posthumen, Wien 2014, S. 109.
[3] Kurt Schuschnigg, Dreimal Österreich, Wien 1937, S. 215.
[4] Grassegger, 2011, S. 570.
[5] Dreidemy, 2014, S. 123.
[6] In: Reichspost vom 9. August 1934, S. 8, abgerufen am 12.11.2024.
[7] Grassegger, 2011, S. 571.
[8] Vaterländische Front, Bericht der Bezirksleitung St. Pölten-Stadt über das Jahr 1935, St. Pölten 1936, S. 10.
[9] Markus Glück, Wende: Dollfuß-Platz in Mank bleibt erhalten. In: www.noen.at. NÖN, 11.092022, (abgerufen am 06.12 2024).
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